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23.03.2005
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Am Karsamstag, so zwischen drei und vier Uhr nachmittags, gingen in Marbacka immer ein paar Mägde in den Stall hinunter, einen Packen Kleider unter dem Arm, um die Osterhexe herzurichten.
Zuerst nahmen sie einen langen Sack und stopften ihn mit Stroh voll. Dann zogen sie einen alten Rock darüber, den schlechtesten, den sie nur finden konnten, und ein altes, ausrangiertes Leibchen, das vorne blankgescheuert war und große Löcher am Ellbogen hatte. In die Ärmel stopften sie Stroh, damit sie rund und natürlich aussahen, und dass Strohhalme anstatt Hände aus den Ärmeln hervorguckten, genierte sie nicht im geringsten.
Hierauf machten sie der Osterhexe einen Kopf aus einem Küchenhandtuch, das möglichst grob und grau war. Sie knüpften es an vier Enden zusammen, füllten es mit Stroh, malten mit Kohle Augen, Nase und Mund, banden es oben auf dem Strohsack fest und setzten ein altes, schäbiges Hutungetüm darauf, das sicherlich schon Anno 1820 in Gebrauch gewesen war. Dann brauchte man der Osterhexe nur mehr einen alten Schal über die Schultern zu hängen und eine Schürze um den Leib zu binden.
Als die Osterhexe soweit fertig war, wurde sie aus dem Stall zum Wohnhaus hinaufgetragen. In das Haus hinein durfte sie jedoch nicht, sondern die Mädchen blieben mit ihr vor dem großen Eingang und brachten ihr einen Küchensessel zum Sitzen. Aus dem Bräuhaus holten sie den langen Schürhaken und den Besen und stellten sie schräg hinter ihren Stuhl, damit sie die Fluggeräte leicht greifen konnte. Zuletzt banden sie an das Schürzenband ein altes Kuhhorn, voll von Hexensalbe, steckten eine lange Feder in das Horn und hängten ihr eine alte Posttasche um den Hals. Damit war sie fertig. Gleich darauf wurde den Kindern verkündigt, dass die Osterhexe da war, und sie eilten hinaus, um sie zu sehen. Leutnant Lagerlöf pflegte sie immer bis zum Vorplatz zu begleiten, aber Frau Lagerlöf und Mamsell Lovisa und Fahnenjunker Wachenfeldt, der über die Feiertage nach Marbacka gekommen war, blieben gewöhnlich im Haus. Sie hatten zu ihrer Zeit so viele Osterhexen gesehen, sagten sie. Wenn nun die Kinder auf die Vortreppe hinauskamen und die Osterhexe sahen, die mitten auf dem Kiesweg saß und sie aus ihren Rußaugen anglotzte, da waren sie natürlich zuerst ein bischen erschrocken und ängstlich, denn sie konnten ja deutlich sehen, daß das eine richtige Zauberin war, auf dem Weg zum Blocksberg, wenn es ihr auch aus dem einen oder anderen Grunde beliebt hatte, in Marbacka haltzumachen.
Aber nachdem sie die Osterhexe ein Weilchen aus der Ferne betrachtet hatten, schlichen sie ganz langsam die Treppenstufen hinunter und näherten sich ihr sehr behutsam und vorsichtig. Sie konnten sich ja denken, dass sie hier im Haus etwas ganz Besonderes wollte, da sie sich von dem anderen Blocksbergvolk getrennt hatte, auf die Gefahr hin, zu spät zu dem großen Osterschmaus zu kommen.
Die Osterhexe verhielt sich mäuschenstill, wie nahe sie auch kamen. Und schließlich nahm eines der Kinder seinen ganzen Mut zusammen und steckte die Hand in die alte Posttasche. Die sah so strotzend voll aus, dass sie ihnen schon die ganze Zeit in die Augen gestochen hatte. Aber der die Hand hineingesteckt hatte, stieß unwillkürlich einen Schrei des Entzückens aus: die ganze Tasche war voll von Briefen. Man zog ganze Hände von großen gesiegelten Briefen heraus. Federn waren auch daran, so, als wären sie geflogen gekommen, ganz wie die Osterhexe selbst, und alle miteinander waren sie an Anna und Gerda, Selma oder Johann adressiert. Alle an die Kinder. Die Großen gingen leer aus.
Sowie die Kinder ihre Briefe eingeheimst hatten, verließen sie die Osterhexe. Sie gingen in das Haus und setzten sich an den Speisetisch, um die Osterbriefe zu öffnen. Das war ein Fest, denn das waren keine gewöhnlichen Briefe. Anstatt der trockenen schwarzen Buchstaben schimmerte aus jedem der Briefe eine farbige Osterhexe oder ein Hexenmeister, wohlversehen mit Besen, Ofengabeln, Hörnern und allem möglichen Osterzbehör.
Es waren Briefe aller Art, manche auf gelbem Strohpapier und andere auf feinstem Velin. Manche waren wirklich von kleinen Kindern zusammengekleckst, anderen konnte man es anmerken, dass die Großen im Spiel gewesen waren und geholfen hatten. Die meisten Figuren waren im Profil, alle waren in Wasserfarben gemalt, alle waren Heimarbeit. Nicht alle waren schön, aber doch, welches Vergnügen, sie zu bekommen. Wie sie beguckt, wie sie bewundert wurden!
Es wäre übrigens voreilig zu sagen, dass nichts Geschriebenes in den Briefen stand. Einige waren ganz vollgeschrieben, doch nie mit Prosa, sondern mit Versen. Aber daran war nicht so sehr viel Spaaß, denn es waren nur alte Osterreime, die die Kinder ohnehin auswendig kannten.
Übrigens waren die Kinder gar nicht so erstaunt über die Unmenge von Briefen, als man hätte glauben sollen.
Sie hatten selbst den ganzen Monat März jeden freien Augenblick dazu verwendet, zu zeichnen und zu malen, und hatten ebensolche Briefe an jedes Landgut in der Umgegend gesandt. Sie wußten sehr wohl, dass auch bei den Nachbarn mit Pinsel und Farbe gearbeitet worden war und dass die Briefe, die die Osterhexe mitgebracht hatte, von irgendeinem anderen Gut stammten. Wie die Briefe in die Tasche der Osterhexe gekommen waren, das konnten sie sich freilich nicht recht erklären. Man hatte sie vielleicht gesehen, als sie vorbeigeflogen war, und hatte ihr die Briefe zugeworfen.
Wenn sich nun die Kinder eine Weile an den Briefen ergötzt, sie gezählt und verglichen hatten, dann erinnerten sie sich an die Osterhexe, die all das Hübsche mitgebraht hatte, und gingen vor das Haus, um sie noch einmal anzugucken. Aber wenn sie nun hinauskamen, war der Sessel leer, die Osterhexe war verschwunden, und die Ofengabel und der Besen ebenfalls. Die Osterhexe hatte es wohl eilig gehabt, zum Blockssberg zu kommen, und war davongeflogen, wowie sie ihre Briefe abgeliefert hatte. Und ein rechtes Glück war es, dass sie sich davongemacht hatte, denn nun war der Knecht Per, der Finne war und Jägerblut in den Adern hatte, in die Schreibstube gekommen und hatte die beiden Gewehre des Herrn Leutnants geladen. Er trat vor die Tür und schoss die Gewehre gerade in die Luft hinauf ab. Die Kinder wußten, dass er auf die Osterhexen schoss, die dort zwischen den weißen Wölkchen des Frühlingshimmels herumflogen. Sie selber konnten sie nie entdecken, aber Per, der Finne war und also mehr sehen konnte als andere, der sah sie wohl. Jedenfalls war es gut, dass die brave Osterhexe, die Marbacka besucht hatte, schon außer Schußweite war.
Ja, so ging es in Marbacka zu, ein Ostern wie das andere.
Aber dann kam ein Karsamstag. Er ließ sich nicht merkwürdiger an als alle anderen. Die Kinder waren wie gewöhlich den ganzen Monat März dagesessen und hatten Osterbriefe gemalt; und namentlich am Sonntag war das alte Kinderzimmer in Marbacka förmlich eine Malerwerkstätte gewesen. Farben und Farbenschälchen auf allen Kisten und Kasten. In der Osterwoche, als die Erzieherin fortgereist war und die Osterferien begonnen hatten, hatten der Eifer und Aufregung den Höhepunkt erreicht. Leutnant Lagerlöf war schon ganz verzweifelt, weil die Kinder ihm alles abbettelten, was er an feinem weißen Papier besaß, und schließlich hatte er ihnen gesagt, sie müßten schon mit gelbem Strohpapier vorliebnehmen. Die rote und die blaue Farbe, mit der alle malen wollten, ging im Farbenkasten der Kinder aus, und unaufhörlich mußten sie zu Tante Lovisa hinunterlaufen, die in ihrer Jugend malen gelernt hatte und noch ein Kästchen feine Aquarellfarben besaß. Alle Trinkgläser wurden dazu verwendet, Pinsel auszuwaschen, alle Siegellackstangen waren aufgebraucht. Frau Lagerlöf saß den ganzen Tag da und schrieb Adressen, und man lief bergauf, bergab, um nach schönen Federn zu suchen, die man unter den Siegeln befestigte. Um Pinsel war es immer schlecht bestellt, und als der letzte Osterbrief geschrieben und versiegelt war, war von ihnen nichts mehr übrig als ein paar struppige Borsten.
Aber nun war auch der Karsamstagabend gekommen, die Arbeit war vollendet, und die fleißigen Künstler harrten ihres Lohnes.
Zur richtigen Zeit wurde gemeldet, dass die Osterhexe eingetroffen sei, und sie gingen auf den Vorplatz, um sie zu begrüßen. Alles war wie immer. Das einzig Merkwürdige war, dass nicht nur Leutnant Lagerlöf, sondern auch Frau Louise und Mamsell Lovisa, ja sogar der gichtbrüchige Fahnenjunker mitgekommen waren, um zuzusehen, wie die Kinder die Osterbriefe abholten.
Es war ein windiger nasser Tag, der Frühling war noch nicht weit vorgeschritten. Hier und dort auf dem Rasen lag noch Schnee, und die Wege zwischen den Häusern waren voll von Wasserpfützen. Aber so etwas geniert doch Osterhexen nicht, und sie, die in Marbacka einzukehren pflegte, war auch gekommen und saß da auf ihrem Holzsessel, mit dem gewöhnlichen Hutungetüm auf dem Kopf und den gewöhnlichen Fluggeräten hinter sich.
Das Stoh lugte unter den Ärmeln hervor, wie stets. Augen, Nase und Mund waren mit Kohle auf ein graues Küchenhandtuch gemalt: das Umschlagtuch der Stallmagd lag über ihren Schultern, die Posttasche hing ihr um den Hals, und das alte Kuhhorn war am Schürzenband festgeknotet.
Die Kinder waren jetzt schon größer. Sie erschraken gar nicht, als sie die Osterhexe erblickten. Sie wußten ja, dass sie nichts anderes war als ein angekleideter Strohsack, und sie liefen ohne das geringste Zaudern auf sie zu, um die Briefe aus ihrer Tasche zu nehmen.
Es war Selma, die zuerst ans Ziel kam. Aber da sprang die Osterhexe vom Sessel auf, nahm die Feder, die im Kuhhorn steckte, und strich ihr mit der Hexensalbe übers Gesicht.
Wie ging das zu? Wie war das möglich? Das kleine Mädchen kreischte vor Entsetzen und lief auf und davon, aber die Osterhexe, die konnte auch laufen, und sie kam ihr nach, mit gezückter Feder. Sie patschte durch die Wasserpfützen, so dass das Wasser rings um sie aufpritzte.
Das war das Merkwürdigste und Schrecklichste, was die kleine Selma Lagerlöf je erlebt hatte. In dem Augenblick, in dem sie fühlte und sah, dass die Strohhexe sich bewegte, da war es, als seien die Grundfesten der Welt erzittert. Während sie forteilte, schossen ihr rasche, erschreckende Gedanken durch den Kopf. Wenn eine Strohhexe Leben bekommen konnte, da konnten wohl auch die Toten aus ihren Gräbern steigen, da konnten die Trolle im Waldesdickicht leben, da waren alle Märchen wahr, da gab es nichts Unheimliches und Schauriges, das nicht möglich war.
Heulend vor Angst leif sie die Treppenstufen hinauf. Wenn sie nur zur Tür, zu Vater und Mutter kommen konnte, dann war sie ja gerettet. Zugleich merkte sie, dass die anderen Kinder an ihr vorbei in dieselbe Richtung stürmten. Sie hatten gerade solche Angst wie sie. Doch oben auf der Veranda standen die Großen und lachten. "Aber liebe Kinder", sagten sie, "ihr braucht doch keine Angst zu haben. Es ist ja nur die Kinder-Maja."
Da sahen die Kinder ja ein, wie dumm sie gewesen waren, es war ja die Kinder-Maja, ihr lustiges, fröhliches Kindermädchen, das sich als Osterhexe verkleidet hatte. Ach, ach, dass sie das nicht gleich gemerkt hatten. Es war doch zu ärgerlich, dass sie sich hatten anschmieren lassen!
Aber sie hatten keine Zeit sich zu grämen, denn nun kam die Osterhexe auch schon die Treppen herauf, schnurstracks auf Fahnenjunker Wachenfeldt zu, um ihn zu umarmen und zu küssen. Und der Fahnenjunker, der immer solche Angst vor allen häßlichen Frauenzimmern hatte, spuckte und fachte und schlug mit dem Stock um sich, aber weiß Gott, ob er ganz mit heiler Haut davonkam. Die Kinder sahen nachher, dass er ein paar Rußflecken auf dem weißen Schnurbart hatte.
Aber die Osterhexe zog zu neuen Taten aus. Sie nahm die Ofengabel zwischen die Beine und hopste zum Kücheneingang. Die Tauben, die dort draußen herumspazierten und ganz gemächlich die Erbsen aufpickten, die die Haushälterin hingestreut hatte, flatterten flügelschlagend auf das Dach. Die Katze lief die Dachrinne hinauf, und Nero, der große Neufundländer, schlich davon, den Schwanz zwischen die Beine geklemmt. Nur die alte Haushälterin bewahrte ihre Fassung. Sie lief zum Herd, riß ein brennendes Scheit an sich, und damit ging sie auf die Hexe los, als sie sich auf der Schwelle zeigte. - Da mußte das Scheusal abziehen, aber im wildesten Galopp trabte es nun - kreischend und fuchtelnd, wilde Drohgebärden nach allen Richtungen ausführend - dem Hinterhof zu. Das erste Wesen, das sie erblickte, war das alte Pferd, das Bräunle. Es war gerade abgeschirrt worden und spazierte ganz gemächlich auf die Stalltür zu. Aber als es die Unholdin um die Ecke biegen sah, zog es plötzlich die Beine bis zum Bauch hinauf und galoppierte davon. Die Mähne flatterte, der Schwanz stand weg, die Hufe donnerten auf den Boden, und so weit Wege und Stege offen lagen, setzte es seine Flucht fort.
Beim Holzschuppen standen die Knechte Lars und Magnus und hackten Holz. Sie hörten zu hacken auf, aber für solche Kerle paßte es sich nicht, vor irgendeiner Hexe davonzulaufen. Sie rührten sich nicht von der Stelle, sie hoben nur ihre Äxte gegen sie, denn guter Stahl schützt gegen Geisterspuk. Die Osterhexe wagte auch nicht, ihnen nahe zu kommen, aber dafür erblickte sie nun einen Mann, der gerade die Allee herunterkam. Das Unglück wollte es, dass es dieser Olle aus Säter war, der einmal in seiner Jugend mit Blockberggesindel zusammengestoßen war. Er war in einer Osternacht von einem Gastmahl nach Hause gewandert, und auf einer der flachen Wiesen unterhalb von Marbacka hatte er sie in einem langen Zug dicht über dem Boden hinstreichen sehen. Sie hatten sich wie ein Band um ihn geschlängelt, sie hatten auf einem frischgepflügten Feld mit ihm getanzt, sie hatten ihn die ganze Nacht nicht zu Atem kommen lassen. Er hatte geglaubt, die abscheulichen Hexen würden ihm das Leben aus dem Leibe tanzen, als sie ihn so über die Ackerfurchen hin und her zerrten, nie war ihm schlimmer mitgespielt worden. Und nun, als er gerade vor dem Gesindehaus in Marbacka stand, sah er eine solche Hexe ihm entgegenhopsen.
Er besann sich keinen Augenblick. Alt und gichtbrüchig, schief und hinkend war er, aber so flink wie ein Junge machte er kehrt und lief die Allee wieder hinauf. Er stürmte davon wie vorhin das Bräunle und blieb nicht früher stehen, bis er im tiefen Wald auf der anderen Seite des Weges war.
Die Marbacker Kinder hatten sich ja jetzt selbst von ihrem Schrecken erholt, so dass sie über andere lachen konnten. Sie folgten der Osterhexe auf Schritt und Tritt, sie sahen, wie die alte Haushälterin ihr mit dem brennenden Scheit drohte, sie sahen, wie das Bräunle durchging und wie Olle in den Wald rannte. Sie sahen Lars und Magnus die Äxte gegen sie erheben, sie liefen ihr nach, durch Wasserpfützen und Schneehaufen, und lachten, wie sie noch nie gelacht hatten.
Aber das beste von allem war doch, wie Per an der großen Treppe vorbei zur Schreibstube hinunterstürmte. Der Leutnaant fragte ihn, wohin er es so eilig habe, doch der Alte nahm sich kaum Zeit zu antworten. Aber endlich kam es doch heraus, dass er die Gewehre laden wollte, um dieses Scheusal totzuschießen, das im Hinterhof sein Unwesen trieb.
Aus den Augen des Alten leuchtete die echte Jägerfreude. Nun hatte er an wenigsten fünfzig Karsamstagen auf die Osterhexen geschossen und nie eine getroffen. Jetzt endlich war eine hier, die er aufs Korn nehmen konnte.
Diesen ganzen Abend, ja die ganzen Osterfeiertage lachten sie in Marbacka ihn und all die anderen aus, die sich von der Ostehexe hatten erschrecken lassen. Ja, noch lange nachher mußte man lächenln, wenn man sich daran erinnerte, was für einen Aufruhr es gegeben hatte.
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